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Forderungspapier der Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder zur inklusiven schulischen Bildung
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/entwicklung-der-menschenrechtssituation-in-deutschland-juli-2021-juni-2022
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Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf eine diskriminierungsfreie inklusive schulische Bildung am Wohnort

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INKLUSION – Ein Grundrecht auf schulische Bildung am Wohnort - UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 24

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte die hohe Bedeutung inklusiver Bildung und die Notwendigkeit, dass der Staat angemessene Vorkehrungen ergreift, um faktische Ungleichheiten zu beseitigen. Es sei die Aufgabe der nationalen Stellen zu eruieren und
die Mittel zu definieren, wie den besonderen Bedürfnissen von Kindern mit Behinderung im Bildungsbereich Rechnung getragen werden könne. Angemessene Vorkehrungen könnten hierbei ganz unterschiedlich ausgestaltet sein (materiell und immateriell, pädagogisch und organisatorisch), um die bauliche Zugänglichkeit der Regelschulen,
die Ausbildung sowie geeignete Unterrichtsprogramme und Ausstattung zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund der besonderen Verletzbarkeit von Kindern mit Behinderungen, trage der Staat eine besondere Verantwortung angemessene Vorkehrungen vorzunehmen.
Deren Verweigerung sei eine verbotene Diskriminierung.“
(Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, Urt. v. 10.01.2017, Nr. 32407/13), (EGMR, Urt. v. 23.02.2016 – Nr. 51500/08, Rn. 64 f.)

 

Das Versagen von „angemessenen Vorkehrungen“ muss als Diskriminierung gewertet werden, die nach Art. 5 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 der UN-BRK verboten ist.

"Im Grunde genommen hat Inklusion noch gar nicht angefangen.
Denn der Beginn der Inklusion wäre, die Schüler mit Behinderung
dürfen die Sonderschule verlassen."

Prof. Hans Wocken, Erziehungswissenschaftler und Sonderpädagoge

https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/inklusion-154.html

Inklusion – Behindertenbeauftragte fordern :

Förderschulen abschaffen!

https://www.news4teachers.de/2023/02/inklusion-behindertenbeauftragte-fordern-auch-wegen-des-lehrermangels-foerderschulen-abschaffen/?amp

BERLIN. Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern fordern die Kultusminister in einem gemeinsamen Papier dazu auf, die inklusive schulische Bildung zu stärken – und die Förderschulen schrittweise abzuschaffen. Sie verweisen auf die UN-Behinderten-rechtskonvention, die seit 2009 in Deutschland im Range eines Bundesgesetzes gilt. Daraus folge, so heißt es in der Erklärung, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf diskriminierungsfreie inklusive Beschulung haben. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, betont: „Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht“.

Die UN-Behindertenrechtskonventin gilt in Deutschland seit über 13 Jahren – die Zahl der Förderschüler ist in dieser Zeit aber kaum gesunken. 

Die Installierung inklusiver Bildungsangebote erfordert eine inklusive Grundhaltung, kostet Zeit, Ressourcen, zielt auf Bewusstseinsbildung und benötigt Durchsetzungsfähigkeit. Weite Teile der Bundesrepublik bedürfen sowohl in bildungsstruktureller als auch in bildungspolitischer Hinsicht einer Neuausrichtung“, so fordern die Beauftragten. Heißt: eine Transformation hin zu einem inklusiven Schulsystem.

Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, betont: „Im Jahr 2020 verließen mehr als 70 Prozent der Jugendlichen, die eine Förderschule besuchten, die Schule ohne Hauptschulabschluss. Mit ihrem Zögern beim Abbau der Förderschulen vergeuden viele Bundesländer Talente und Fachkräftepotenzial. In Zeiten akuten Fachkräftemangels können wir uns das auch volkswirtschaftlich nicht mehr leisten.“ News4teachers

Hier geht es zur vollständigen Erklärung der Behindertenbeauftragten.
https://www.behindertenbeauftragter.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/PublikationenErklaerungen/20221209_Erklaerung_Inklusive_Bildung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

 

Die Umsetzung schulischer Inklusion in den deutschen Bundesländern vom 09.09.2021.jpg
Das Recht auf inklusive Bildung.jpg
Inklusive Bildung verständlich erklärt.j

INKLUSION – Ein Grundrecht auf schulische Bildung – UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 24


Das Problem Förderschule - Deutschlands Bildungssystem versagt dabei, Kinder mit Behinderung zu inkludieren.

 

Das deutsche Institut für Menschenrechte fordert Reformen.
BERLIN taz | “Kinder und Jugendliche haben ein Grundrecht auf schulische Bildung – Kinder mit Behinderungen haben dieses Recht genau so wie Kinder ohne Behinderungen“ – mit diesen Worten stellt Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, am Mittwoch den neuen Menschenrechtsbericht für Deutschland vor. Der Fokus liegt dieses Mal auf dem Recht auf inklusive Bildung. Die Bilanz ist ernüchternd: Die Anstrengungen der Bundesregierung, einen diskriminierungsfreien Zugang zum Schulsystem zu garantieren, bewertet der Bericht als mangelhaft.


Ein Kernproblem stellen Förderschulen dar: Das Institut kritisiert, dass aktuell mehr als die Hälfte der Schü­le­r*in­nen mit Behinderung weiterhin an Schulen unterrichtet werden, die auf sonderpädagogische Förderung ausgerichtet sind. Bund und Länder werden deshalb aufgefordert, Förderschulen abzuschaffen. INKLUSION – Ein Grundrecht auf schulische Bildung – UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 24


Das Problem Förderschule - Deutschlands Bildungssystem versagt dabei, Kinder mit Behinderung zu inkludieren.

 

Das deutsche Institut für Menschenrechte fordert Reformen.
BERLIN taz | “Kinder und Jugendliche haben ein Grundrecht auf schulische Bildung – Kinder mit Behinderungen haben dieses Recht genau so wie Kinder ohne Behinderungen“ – mit diesen Worten stellt Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, am Mittwoch den neuen Menschenrechtsbericht für Deutschland vor. Der Fokus liegt dieses Mal auf dem Recht auf inklusive Bildung. Die Bilanz ist ernüchternd: Die Anstrengungen der Bundesregierung, einen diskriminierungsfreien Zugang zum Schulsystem zu garantieren, bewertet der Bericht als mangelhaft.


Ein Kernproblem stellen Förderschulen dar: Das Institut kritisiert, dass aktuell mehr als die Hälfte der Schü­le­r*in­nen mit Behinderung weiterhin an Schulen unterrichtet werden, die auf sonderpädagogische Förderung ausgerichtet sind. Bund und Länder werden deshalb aufgefordert, Förderschulen abzuschaffen.

Deutschlandweit sind die Bundesländer bereits seit 2009 verpflichtet, ihre Schulsysteme so zu reformieren, dass sie Kinder mit Behinderung nicht diskriminieren. Der Bericht konstatiert nun:

„Fast 14 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland zeigen nur sehr wenige Bundesländer ausreichend politischen Willen zum menschenrechtlich erforderlichen Aufbau eines inklusiven Schulsystems mit gleichzeitigem deutlichem Rückbau der Förderschulstandorte.“ Lediglich Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein würden das Recht auf inklusive Bildung „mit großem Engagement“ umsetzen, hebt Rudolf hervor.

Aber auch der Bund sei gefordert, so das Institut – auch wenn die Kompetenz für den Bildungsbereich im deutschen Bildungsföderalismus bei den Ländern liege, könne sich die Bundesregierung nicht komplett aus der Verantwortung ziehen. So etwa bei den Beratungsangeboten, die Eltern von Kindern mit Behinderung zur Verfügung stehen: Das Institut berichtet von einem erheblichen Mehraufwand für Eltern, wenn sie ihre Kinder nicht auf eine Förderschule schicken wollen – und von Beratungsstellen und Lehrer:innen, die Eltern raten, von der Bewerbung auf einen Platz in einer inklusiven Schule abzusehen.

Das Institut fordert die Bundesregierung dazu auf, ihre eigene Zuständigkeit in der schulischen Bildung im Sinne eines kooperativen Föderalismus zwischen Bund und Ländern zu stärken, etwa durch die Einführung einer Gesamtstrategie und eines vertraglichen „Pakts für Inklusion“ zwischen Bund und Ländern. Grundsätze eines inklusiven Schulgesetzes müssten auch im Grundgesetz verankert werden, so Rudolf. https://taz.de/Bericht-zu-Menschenrechten-in-Deutschland/!5901859

Auszüge aus dem Bericht an den Deutschen Bundestag

https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/entwicklung-der-menschenrechtssituation-in-deutschland-juli-2021-juni-2022

Deutsches Institut für Menschenrechte 

Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland
Juli 2021 – Juni 2022
Bericht an den Deutschen Bundestag
gemäß § 2 Absatz 5 DIMRG


INKLUSIVE BILDUNG FÜR KINDER UND JUGENDLICHE MIT BEHINDERUNGEN

 

Kurzfassung


Inklusive Bildung: Gesamtstrategie und stärkere Verantwortung des Bundes nötig Kinder und Jugendliche mit Behinderungen haben das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu einem inklusiven Schulsystem. Doch vielen Schüler*innen mit Behinderungen in Deutschland wird dieser Zugang de facto verwehrt. Die Folge: Die selbstbestimmte Lebensgestaltung sowie die zukünftige gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen ist wesentlich beeinträchtigt. Deutschland benötigt eine Gesamtstrategie für inklusive Bildung, deren Kernelement eine stärkere Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsföderalismus sein sollte.
Das Ziel: Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sollen an allgemeinbildenden Schulen inklusiv beschult und Förderschulen schrittweise abgebaut werden. So wie es die UN-Behinderten-rechtskonvention (UN-BRK) in Artikel 24 vorsieht, die seit 2009 in Deutschland gilt. An den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der UN-BRK muss sich Deutschland messen lassen. Der Bund kann sich seiner Gesamtverantwortung zur Umsetzung eines inklusiven Schulsystems nicht durch Verweis auf die Länderzuständigkeit im Bildungsbereich entziehen.

Viele Landesregierungen bekennen sich vordergründig zur inklusiven Bildung, halten aber am Förderschulsystem für Schüler*innen mit Behinderungen fest. Das Ergebnis: Die Exklusionsquote, die den Anteil von Schüler*innen an Förderschulen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schüler*innen abbildet, ist bundesweit seit Jahren nahezu gleichbleibend hoch. Aktuell werden im Bundesdurchschnitt noch immer mehr als die Hälfte der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung an einer Förderschule unterrichtet. Die Förderschule ist in den meisten Bundesländern nach wie vor eine fest im Schulsystem verankerte Schulform. Schüler*innen verlassen diese meist ohne Schulabschluss – der Beginn einer lebenslangen Exklusionskette: Sie wechseln oft in gesonderte und theoriereduzierte Formen der Ausbildung mit weniger Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Im Gegensatz dazu verweisen nationale und internationale Studien auf die Vorteile des inklusiven Unterrichts – bis hin zu einer bildungsökonomischen Kostenersparnis.

Auf Grundlage der Erfahrungen von Beratungsstellen illustriert das Deutsche Institut für Menschenrechte im Schwerpunktkapitel des Menschenrechtsberichts 2022 anhand von vier Fallbeispielen, auf welche konkreten Hürden die Eltern und Schüler*innen stoßen. Es zeigt sich zum Beispiel, dass es für manche Eltern oft ein beträchtlicher Mehraufwand ist, einen inklusiven Schulplatz zu organisieren, anderen wird schon früh vermittelt, dass ihr Kind besser auf einer Förderschule aufgehoben sei. Auch gibt es Eltern, die nur aufgrund unzureichender Informationen die Förderschule wählen. Und immer wieder legen Lehrer*innen beziehungsweise Regelschulen Schüler*innen mit Behinderungen den Wechsel auf eine Förderschule unmissverständlich nahe.

Die Bundesländer sind bereits seit 2009 in der Pflicht, ihre Schulsysteme so zu reformieren, dass sie Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen optimal fördern und niemanden wegen einer körperlichen, psychischen, intellektuellen oder Sinnesbeeinträchtigen ausgrenzen. Fast 14 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland zeigen allerdings nur sehr wenige Bundesländer ausreichend politischen Willen zum menschenrechtlich erforderlichen Aufbau eines inklusiven Schulsystems mit gleichzeitigem deutlichem Rückbau der Förderschulstandorte. Eine Ausnahme bilden Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein, die mit großem Engagement das Recht auf inklusive Bildung umsetzen. Ganz anders Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland, deren Exklusionsquoten auf eine Rückentwicklung hindeuten.

Dass es Handlungsbedarf bei der Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich gibt, hat auch die amtierende Regierungskoalition erkannt. Sie strebt laut Koalitionsvertrag eine „engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation“ an und erwägt eine Grundgesetzänderung. Diese Ankündigung sollte so verstanden werden, dass sie auch die zentralen Herausforderungen beim Auf- und Ausbau eines inklusiven Schulsystems umfasst. Aus Sicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist angesichts dieses Gesamtbilds ein inklusives Bildungssystem in Deutschland ohne eine Stärkung der Bundeszuständigkeit schwer möglich. Der Bund muss seine völkerrechtliche Handlungspflicht annehmen, die er mit Ratifizierung der UN-BRK eingegangen ist. Im Sinne einer nachhaltigen Gesamtstrategie sollte die Bundesregierung einen kooperativen Föderalismus in der schulischen Bildung stärken.
Dazu empfiehlt das Deutsche Institut für Menschenrechte drei einander ergänzende Wege:
− Artikel 74 Absatz 1 Nr. 4 GG: Einführung einer
ergänzenden Zuständigkeit des Bundes für bestimmte Elemente eines inklusiven Schulsystems
außerhalb des pädagogischen Kernbereichs
− Artikel 91b GG: Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe zur Schaffung eines inklusiven Schulwesens zur Angleichung und Erweiterung der Standards
− Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern: „Pakt für Inklusion“.

− Als Vertragsstaat der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist Deutschland verpflichtet, ein inklusives Schulsystem zu verwirklichen. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen haben das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu einem solchen System. Es ist menschenrechtlich zwingend erforderlich, sie an allgemeinbildenden Schulen inklusiv zu beschulen. Förderschulen müssen schrittweise abgebaut werden.
− Die Länder müssen daher die bestehenden Schulsysteme so reformieren, dass sie alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen optimal fördern und niemanden wegen einer körperlichen, psychischen, intellektuellen oder Sinnesbeeinträchtigung ausgrenzen.

− Die Datenlage zeigt: Aktuell werden im Bundesdurchschnitt noch immer mehr als die Hälfte der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung an einer Förderschule unterrichtet. Nur in wenigen Bundesländern findet der menschenrechtlich gebotene Aufbau eines inklusiven Schulsystems mit gleichzeitigem deutlichem Rückbau der Förderschulstandorte statt. Die Fortschritte der Länder sind unzureichend und weichen zum Teil stark voneinander ab.

− Die Exklusionsquote (Anteil der Schüler*innen, die in Förderschulen unterrichtet werden im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schüler*innen) stagniert bundesweit seit Jahren auf einem nahezu gleichbleibend hohen Niveau. Eine Prognose sieht keine deutlichen Verbesserungen bis 2030/2031.
− Hinzu kommt, dass die Exklusionsquoten zwischen den einzelnen Bundesländern sehr stark auseinandergehen: In Bremen lag sie zuletzt bei 0,9 Prozent, in Sachsen-Anhalt bei 6,5 Prozent.

In vier Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und Saarland) ist sie in den letzten zehn Jahren zudem wieder angestiegen. Diese Rückentwicklung steht im eklatanten Widerspruch zur UN-BRK, die eine progressive Entwicklung fordert. − Die Förderschule, die in den allermeisten Fällen ohne einen Schulabschluss endet, stellt meist nur den Auftakt einer lebenslangen Exklusionskette dar: Die Betroffenen wechseln oft in gesonderte und theoriereduzierte Formen der Ausbildung mit verminderten Aussichten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

− Nach fast 14 Jahren – 2009 trat die UN-BRK für Deutschland in Kraft – ist die Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems ohne nachhaltige Gesamtstrategie nicht zu erwarten. Der Bund muss seine völkerrechtliche Handlungspflicht, die er mit der Ratifizierung der Konvention eingegangen ist, annehmen. Er kann sich seiner Gesamtverantwortung zur Umsetzung eines inklusiven Schulsystems nicht durch den Verweis auf die Länderzuständigkeit im Bildungsbereich entziehen. Bund und Länder sind gemeinsam in der Pflicht, das Bildungssystem inklusiv umzugestalten.

− Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat sich daher mit der Frage befasst, welche Lösungen zur Stärkung eines kooperativen Föderalismus geeignet sind, um ein inklusives Schulsystem entsprechend der menschenrechtlichen Verpflichtung aus Artikel 24 UN-BRK umzusetzen.
− Die amtierende Regierungskoalition sieht deutlichen Handlungsbedarf bei der Zusammenarbeit im Bildungsbereich: Sie strebt laut Koalitionsvertrag eine „engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation“ in der Bildung an und zieht eine Grundgesetzänderung in Betracht. Diese Ankündigungen sollten so verstanden werden, dass auch die zentralen Herausforderungen beim Auf und Ausbau eines inklusiven Schulsystems von diesen politischen Vorhaben umfasst sind.

− Angemessene Lösungen zur Stärkung eines kooperativen Föderalismus in der schulischen Bildung lassen sich auf drei einander ergänzenden Wegen finden: INKLUSIVE BILDUNG FÜR KINDER UND JUGENDLICHE MIT BEHINDERUNGEN 23

• Artikel 74 Absatz 1 Nr. 4 Grundgesetz (GG):
Einführung einer ergänzenden Zuständigkeit des Bundes für bestimmte Elemente eines inklusiven Schulsystems außerhalb des pädagogischen
Kernbereichs.

• Artikel 91b GG: Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe der Schaffung eines inklusiven Schulwesens zur Angleichung und Erweiterung der Standards.

• Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern:
„Pakt für Inklusion“.

 

1.1 Einleitung
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet Deutschland, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen. Das Ziel: Schüler*innen mit und ohne Behinderungen sollen zusammen lernen und aufwachsen. Gleichzeitig muss das Förderschulsystem nach und nach abgebaut werden. Während Kinder und Jugendliche mit Behinderungen beispielsweise in Italien oder den skandinavischen Staaten bereits seit vielen Jahren erfolgreich im inklusiven allgemeinen Schulsystem unterrichtet werden, zeigen sich in Deutschland fast 14 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK große Umsetzungsdefizite. 
Viele Landesregierungen bekennen sich zwar vordergründig zur Umsetzung der inklusiven Bildung, erhalten aber gleichzeitig das Angebot an Förderschulen für Schüler*innen mit Behinderungen aufrecht und bauen es sogar aus. Damit perpetuieren sie ein Sondersystem, das den menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands (insbesondere Artikel 24 UN-BRK) widerspricht: Deutschland muss ein inklusives allgemeines Schulwesen aufbauen, separierende Strukturen – also Förderschulen – sind auf Dauer nicht tragbar.
1 Eigene Berechnung, Datenquelle: Sekretariat der Kultusministerkonferenz (2022).
2 Einzelheiten zu Gelingensbedingungen siehe unter Kapitel 1.2.1.
3 Ebd. Der von 2009 bis 2019 ausgelobte Jakob Muth-Preis für inklusive Schule hat außerdem einzelne Leuchttürme und neue überzeugende
Ansätze gewürdigt. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/abgeschlossene-projekte/jakob-muth-preis/preistraeger
(abgerufen am 26.10.2022).

 

Ein Blick in die Bundesländer zeigt: Derzeit werden im Bundesdurchschnitt weit über die Hälfte der Schüler*innen mit sonderpädagogischer Förderung an einer Förderschule unterrichtet, nämlich sechs von zehn Kindern. Dabei gibt es drastische Unterschiede zwischen den Bundesländern: Während in Bremen lediglich eines von zehn Kindern an der Förderschule unterrichtet wird (9,9 Prozent), sind es in Bayern sieben von zehn (68,9 Prozent).1 Die Förderschule ist dabei in der Regel der Beginn einer lebenslangen Exklusion: Denn die Aussonderung in Förderschulen, die in den allerwenigsten Fällen mit einem Schulabschluss endet, geht bei den meisten jungen Erwachsenen in gesonderte und theoriereduzierte Formen der Ausbildung mit verminderten Aussichten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über (siehe Abschnitt 1.3.4). 
Es gibt gelingende Inklusion.2 Dank jahrzehntelanger Arbeit zahlreicher Wegbereiter*innen der Inklusionsbewegung aus Elternschaft, Wissenschaft, Schule und Politik gibt es Beispiele der erfolgreichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen in allgemeinbildende Schulen und vielfältige, wenn auch regional sehr unterschiedlich ausgeprägte Erfahrungen damit. Es existiert eine Vielzahl an Modellen für gute, inklusive Bildung – auch wenn sie oft wenig bekannt sind.3 Nur wenige Bundesländer setzen das Menschenrecht auf inklusive Bildung jedoch mit großem Engagement um, darunter Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein. In den anderen Bundesländern zeigen sich gegenläufige Tendenzen. Nicht nur stagniert dort der Umsetzungsprozess der UN-BRK.


Vielmehr hat die Debatte um die inklusive Bildung bedauerlicherweise einen Punkt erreicht, an dem die Bedeutung der menschenrechtlichen Vorgaben zum Aufbau eines inklusiven Bildungssystems sogar weniger ernst genommen wird als noch vor einigen Jahren (siehe Kapitel 1.3).

INKLUSIVE BILDUNG FÜR KINDER UND JUGENDLICHE MIT BEHINDERUNGEN


Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, muss Deutschland unverzüglich seine Bereitschaft steigern, seine Verpflichtung zur Schaffung eines inklusiven Bildungssystems zu erfüllen: Menschen mit Behinderungen müssen dringend Zugang zum allgemeinen Bildungssystem erhalten. Diese Verpflichtung aus Artikel 24 BRK ist eine, die Deutschland unabhängig von seiner innerstaatlichen Kompetenzverteilung als Ganzes hat. Zwar kann der Staat im Rahmen dieser Kompetenzregelung festlegen, dass die Länder die Hoheit über die Bildungspolitik haben und damit auch für ein inklusives Bildungssystem verantwortlich sind. Wenn sich jedoch zeigt, dass dies bei bestehender Kompetenz- und Finanzmittelverteilung in der überwiegenden Mehrheit der Länder über lange Zeit – hier knapp 14 Jahre seit Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland – nicht erfolgt und weder die völkerrechtliche Verpflichtung als solche noch Abmahnungen auf UN-Ebene (siehe Abschnitt 1.2.2) zu einem Umsteuern führen, dann stellt sich mit besonderer Dringlichkeit die Frage, ob die Kompetenzverteilung noch sachgerecht ist und ob der Bund und Länder nicht eine Veränderung dieser Verteilung anstreben müssen, um einen menschenrechtskonformen Zustand zu erreichen. 


Denn: Aktuell wird mehreren Generationen von Schüler*innen mit Behinderungen in diskriminierender Weise ihr Recht auf Bildung verwehrt – und damit sowohl ihre selbstbestimmte Lebensgestaltung als auch ihre gesellschaftliche und politische Teilhabe wesentlich beeinträchtigt. Vorgetragene Gründe seitens der Länder – seien es unzureichende personelle oder finanzielle Ressourcen, Widerstände und Vorbehalte aus Reihen der Lehrkräfte4 oder der Eltern – sind überwindbar, wenn der ernsthafte politische Wille zur Umsetzung da ist und sachlich falsche Einwände widerlegt werden.

Link zum Video "Der alltägliche Kampf um Inklusion - BR quer"
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